Dienstag, 3. Juli 2007

Mythos Odessa

Am letzten verlängerten Wochenende haben wir die ukrainische Hafenstadt Odessa (Одесса) besucht. Odessa liegt rund 450 km südlich von Kiew am Ufer des Schwarzen Meeres, hat den grössten ukrainischen Hochseehafen und 1 Million Einwohner. Die Einwohner von Odessa werden ausserdem Odessiten (одесситы) genannt. Und der Name Odessa übt bis heute eine Faszination auf alle Bewohner der ehemaligen Sowjetuinion aus, denn Odessa war immer Mythos und Legende.

Die damalige türkische Festung "Yeni Dünya" neben der tatarischen Siedlung Chadschubei (Хаджубей, d.h. Chadschu Bucht) wurde 1789 von russischen Truppen unter Admiral Joseph de Ribas erobert und Odessa wurde im Jahre 1794 auf Anweisung der russischen Zarin Katharina der Grossen bei der eingenommenen türkischen Festung angelegt. Odessa wurde die Hauptstadt des russischen Generalgouvernements Neurussland und wurde ein grosser Erfolg. Schon 1832 lebten 60'000 Menschen in Odessa. Ihr frühes Wachstum verdankt die Stadt dem Herzog von Richelieu, der als Gouverneur von 1803 - 1814 regierte. Der russische Dichter Alexander Puschkin (Алекcандр Сергеевич Пушкин) lobte in der Erzählung "Eugen Onegin (Евгений Онегин)" die Freiheit und Ungezwungenheit in dieser weltoffenen Stadt.


Opernhaus von Odessa (1884–1887)


Als Wahrzeichen der Stadt gilt neben der Potemkinschen Treppe das Opernhaus von Odessa, welches 1884–1887 vom damals im mitteleuropäischen Theaterbau führenden Wiener Büro Fellner & Helmer erbaut wurde.


Pantelejmonowski Kirche an einem Boulevard


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren rund 30% der Bevölkerung Juden. Noch heute hat es recht viele Synagogen in Odessa. Odessa ist bis heute einerseits bis heute sehr russisch geprägte Stadt und noch mehr als ein Drittel der Einwohner sind ethnische Russen. Bis heute gilt die Stadt aber auch als sehr kosmopolitisch, mondän und weltoffen, denn eigentlich wollen die Odessiten weder Russen noch Ukrainer sein.


Obelisk für den Sieg im Zweiten Weltkrieg



Meine Tochter neben Leninorden und der "Goldenen Stern" Medaille


Im russischen Bürgerkrieg wurde Odessa mehrmals von der Roten und der Weissen Armee erobert. Im Zweiten Weltkrieg wurde Odessa nach erbittertem Widerstand von deutschen und rumänischen Truppen erobert. 60'000 Juden wurden anschliessend deportiert und während eines Massakers wurden 30'000 Juden und Kommunisten getötet. Odessa (wie ausserdem auch Kiew) hat den Status einer sowjetischen Heldenstadt (город-герой) - insgesamt gibt es nur 14 Heldenstädte in der ehemaligen Sowjetunion. Einer Heldenstadt wurde der Leninorden, die Medaille "Goldener Stern" und eine Urkunde des Obersten Sowjets der UdSSR verliehen.


Strassenbild in Odessa


Die Innenstadt von Odessa ist mit einer Fläche von rund zwei Quadratkilometern relativ klein und übersichtlich für ukrainische Verhältnisse und wirkt mit den relativ kleinen, meistens klassizistischen und aus der Zeit um die Jahrhundertwende stammenden Palästen und Gebäuden sehr westeuropäisch. Auf den vielen grosszügigen Boulevards und auf fast alle Strassen hat es Bäume und die Stadt wirkt so sehr grün.


Innenhof



Richelieu Bronzestatue (1828) oberhalb der Potemkinschen Treppe


Auf dem zaristischen Panzerkreuzer Potjomkin kam es am 27. Juni 1905 zur Meuterei. Das Ereignis war Grundlage für Sergej Eisensteins (Сергей Эйзенштейн) legendären Film Panzerkreuzer Potemkin, wo eine Schlüsselszene einen quälend langsam die Richelieu-Treppe herunter rollenden Kinderwagen zeigt. 1955 wurde die Richelieu-Treppe zum 50. Jahrestag der Meuterei in Potemkinsche Treppe (Потёмкинская лестница) umbenannt. Heute ist diese Intention in Vergessenheit geraten und so nehmen viele Menschen an, dass sie direkt nach Potjomkin benannt sei.


Potemkinsche Treppe


Die Potemkinsche Treppe (Потёмкинская лестница) ist eine Freitreppe mit 192 Stufen. Die von der Innenstadt zum Hafen führende 142 m lange Treppe ist perspektivisch gebaut: Dadurch dass sie unten mit 21.7 Meter viel breiter ist als oben (13.4 Meter), sieht sie - von oben betrachtet - auf der gesamten Länge gleich breit aus. Von unten betrachtet wirkt sie durch die perspektivische Bauweise hingegen wesentlich länger. Neben der Treppe hat es eine Standseilbahn, eine Finiculaire (Фуникулёр).


Deribassowsksja Strasse


Bekannt ist auch die Deribassawsksja Strasse (Улица Дерибасовская), benannt nach dem russischen Admiral Joseph de Ribas, der Odessa eroberte und den Hafen baute, ein breiter mondäner Boulevard in der Innenstadt mit Bäumen, der heute eine Fussgängerzone und die Flaniermeile von Odessa ist.


Fassaden bei der Oper


Odessa hat einen eigenen Flughafen und ist von Kiew aus auch mit dem Bus und mit dem Zug erreichbar. Besonders interessant ist aber vor allem auch die Tatsache, dass es einen direkten Zug Berlin-Odessa gibt. Ausserdem gibt es im Sommer auch direkte Flüge von Basel nach Odessa.


Bahnhof von Odessa


Odessa ist auch bekannt wegen des ehemaligen Odessa Kinostudios (Одесская киностудия), wo viele Sowjetfilme gedreht wurden, die natürlich vorwiegend in Odessa spielen. Daneben ist Odessa auch bekannt als Badeort und natürlich auch wegen des Hafens. Darüber werde ich aber später noch berichten.
  • Blog: Hafen von Odessa: Link
  • Blog: Arkadia - Odessa's Riviera: Link
  • Webcam von der Potemkinschen Treppe: Link
  • Artikel in der Süddeutschen über Odessa: Link
  • Artikel im Spiegel über Odessa: Link

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