Samstag, 14. März 2009

Lemberg im Winter

Mitte Februar waren wir drei Tage in Lemberg (Львів). Lemberg hat rund 725'000 Einwohner und gilt als die Hauptstadt der Westukraine.


Rathaus von Lemberg (18. Jahrhundert)


Lemberg hat eine grosse und vollständig erhaltene Altstadt, die UNESCO Weltkulturerbe ist. Um die rund einen Quadratkilometer grosse Altstadt herum hat es grosse Quartiere mit ebenfalls alten Häusern aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.


Barock- und Renaissance Häuser am Marktplatz

Lemberg war Teil des Kiewer Rus und wurde im frühen 12. Jahrhundert vom ruthenischen König Danylo gegründert, der sie nach seinem Sohn Lev (Лев) benannte. Lev machte Lemberg zur Hauptstadt des Fürstentums Halytsch-Wolhynien und aus dieser Zeit stammte auch das "Hohe Schloss" (Високий замок), eine Burg auf einem Hügel über der Stadt


Gogenberg Stich aus dem 17. Jahrhundert mit Altstadt und Hohem Schloss


Die Lemberger Altstadt hat Bauten aus der Zeit zwischen dem 13. und 20. Jahrhundert. Dominierender Stil ist Renaissance und Barock, es hat aber auch vor allem an der Peripherie klassizistische, Jugendstil, Bauhaus und Wiener Sezession Häuser.


Eine Gasse in der Altstadt


Lemberg hat eine bewegte Geschichte. Nachdem die Stadt bis 1340 Teil des Kiewer Rus war, war die Stadt vom 14. Jahrhundert bis 1772 Teil Polens. Wegen dieser langen Zugehörigkeit zu Polen sehen viele Polen Lwow (polnisch) als eine alte polnische Stadt. Polen stellten auch bis zum 2. Weltkrieg einen grossen Teil der Bevölkerung. 1356 erhielt die Stadt vom polnischen König Kasimir die Magedeburger Stadtrechte.


Ein kleiner Platz in der Altstadt


Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt von Schweden, Ungarn, Rumänen, Russen und Kossaken belagert, aber als einzige polnische Stadt nie erobert, was auch den guten Zustand der Altstadt erklärt. Erst 1704 wurde Lemberg das erste Mal erobert, und zwar von den Schweden.


Hof des König Jan III Sobieski Hauses (Renaissance)

Bei der ersten Teilung Polens wurde Lemberg 1772 ein Teil Österreich-Ungarns und Haupstadt des Königreichs Galizien und Lodomerien, eines österreichischen Kronlandes. Amtssprache wurde Deutsch und die Mehrheit im Stadtradt stellten nun Österreicher und Tschechen. Trotzdem blieb Lemberg ein wichtiges Zentrum für die ukrainische und polnische Bevölkerung. So wurde Lemberg zum Beispiel im frühen 19. Jahrhundert Sitz der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche.


Eine barocke Gasse am Rande der Altstadt


Mit dem 1. Weltkrieg und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns begann eine bewegte Zeit für die Stadt. 1914 wurde die Stadt von den Russen erobert, aber 1915 wieder von Österreich-Ungarn zurückerobert. Nach dem Zusammenbruch erklärte die ukrainische Bevölkerung 1918 Lemberg zur Hauptstadt der Ukrainischen Volksrepublik. Die polnische Bevölkerung war aber damit überhaupt nicht einverstanden, setze sich zur Wehr und nahmen die Altstadt unter ihre Kontrolle. Unter anderem wurde die Altstadt von bewaffneten Jugendlichen, den Lemberg Adlern (Orlęta Lwowskie) verteidigt. Die Stadt kam schlussendlich unter polnische Kontrolle mit einem anschlissenden Progrom an der ukrainischen und jüdischen Bevölkerung.


Barocke orthodoxe Verklärungskirche (1703-1733)


1920 wurde die Stadt im Polnisch-Sowjetischen Krieg von der Roten Armee angegriffen, aber verteidigt. In der Zwischenkriegszeit war Lemberg die zweitgrösste polnische Stadt.


Armenische Kathedrale (1363–1370)


Mit dem Hitler-Stalin Pakt wurde Lemberg 1939 von sowjetischen Truppen besetzt. In der kurzen Zeit bis zur deutschen Eroberung wurden vom sowjetischen Geheimdienst rund 8'000 Bewohner aller Bevölkerungsgruppen getötet.


Barocke Dominkaner-Kirche (1749-1764, heute Ukrainisch griechisch-katholisch)


Mit dem Beginn des deutschen Russlandfeldzugs wurde Lemberg 1941 von den Nazis besetzt. Die grosse jüdische Bevölkerung Lembergs, neben Ukrainern und Polen die dritte grosse Bevölkerungsgruppe, wurde im Lemberger Ghetto iterniert. In der Stadt selbst wurde das Janowska Konzentrationslager eingerichtet und die absolute Mehrheit der 75'000 jüdischen Einwohner wurden im Nahe gelegenen Tötungslager Belzec getötet.


Römisch-katholische Marienkathedrale (Gothik, 1360-1405)



Innenansicht der römisch-katholische Marienkathedrale


1944 wurde die Stadt von der Roten Armee erobert und die polnische Bevölkerung Lembergs wurde fast vollständig in die neuen polnischen Gebiete umgesiedelt. Somit wurde das ehemals multikulturelle Lemberg innerhalb 5 Jahre zu einer fast einheitlichen ukrainischen Stadt. Lemberg wurde Teil der Ukrainischen SSR und 1991 Teil der unabhängigen Ukraine.


Franziskaner Klosterkirche (1700, heute Ukrainsich griechisch-katholisch)


Wir waren drei Tage von Donnerstagabend bis Sonntagabend in Lemberg, was zeitlich wirklich reicht um die ganze Stadt anzuschauen. Während der ganzen Zeit hat es fast unaufhörlich und stark geschneit, was man gut auf den Fotos sieht.


St. Michaels Kirche (1739-1777)


Wir sind zweimal auf den Hügel des Hohen Schlosses gegangen, weil man von dort eine schöne Aussicht auf die Altstadt hat. Aber leider war die Sicht wegen des unaufhörlichen Schneefalls so schlecht, dass man wirklich überhaupt nichts von der Altstadt gesehen hat.


Ehemalige Jesuitenkirche und Rathausturm


In der Stadt hört man fast ausschliesslich ukrainisch. Die Stadt gilt heute als Zentrum des ukrainischen Nationalismus und wird auch als "inoffizielle" Hauptstadt der Ukraine bezeichnet. An der Euro 2012 finden auch Fussballspiele in Lemberg statt.


Lemberger Oper (1897-1900)


Leider ist die Altstadt im Gegensatz zu Czernwitz nicht in einem besonders guten Zustand und der Rennovationsbedarf ist gigantisch.


Häuser am Freiheits-Boulevard


Neben der Altstadt sind auch die angrenzenden Quartiere sehr interessant und erinnern stark an Wien und Westeuropa. Interessant ist auch die Tatsache, dass Lemberg die einzige Stadt der Ukraine ist, wo das Tram die westliche, schmalere Spurbreite hat. Ausserdem hat schon die Stadt Zürich Lemberg ein paar alte Trams geschenkt.


Bauhaus Haus am Freiheits Boulevard


Untergebracht waren wir im Hotel George, einem Jugendstilhotel im Stadtzentrum. Das Hotel ist nicht auf neustem Stand und hat noch "Sowjet-Charme". Nimmt man aber aber etwas teurere Zimmer, die immer noch billig sind, ist das Hotel absolut in Ordnung.


Hotel George, unser Hotel


Da wir wirklich genug Zeit hatten, haben wir noch das Brauerei-Museum der Lemberger Brauerei besucht. Die Lemberger Brauerei gibt es seit 1715 und es braut somit das älteste Bier der Ukraine.


Plakat des Brauerei-Museums


Ebenfalls eine Sehenswürdigkeit ist der Lytschakiwski-Friedhof (ukrainisch Личаківський цвинтар), welcher rund 200 Jahre alt ist und in eimem Wald liegt. Dort sind viele bekannte Ukrainer und Polen begraben, man sieht aber auch viele deutsche und russische Namen. Da es viel geschneit hatte, war der Friedhof besonders eindrücklich.


Gräber des Friedhofs


So haben wir unter anderem das Grab des ukrainischen Nationaldichter Iwan Franko (Іван Франко) besucht. Ebenfalls eindrücklich sind die polnischen und ukrainischen Gräber aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Hier fand auch schon eine Versöhnungszeremonie zwischen dem polnischen und dem ukrainischen Präsidenten statt.


Grab von ukrainischen Gefallenen


Zum Schluss noch ein paar eindrückliche Nachtbilder, welche ich zum Teil bei nächtlichem Schneesturm geschossen habe.


Rathaus bei Nacht



Gasse und Dominkanerkirche bei Nacht



Restaurant Darwin, wo ich schon bei meinem ersten Besuch war

  • Blog: Erster Besuch von Lemberg: Link

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schöne Bilder und gutes Resümee der Stadtgeschichte. Meine Freundin war kürzlich in Lemberg und hat von dort ähnlich eindrucksvolle Bilder mitgebracht. Die Tatsache, daß Krieg und Nationalismus im 20. Jahrhundert ehemals kulturell gemischte Gegenden in ganz Ost- und Südosteuropa in Monokulturen verwandelt haben (Istanbul wäre ein weiteres Beispiel), spüren wir wohl erst heute so richtig als den großen Verlust, der es ist. Irgendwann werde ich sicher Lemberg auch besuchen. Daß Tschernowitz so viel besser renoviert ist, war mir übrigens neu.

Anonym hat gesagt…

Super Zusammenfassung der sehr reichhaltigen Geschichte der Ukraine und speziell Lembergs:-)!War selber Ende Februar dort und war von der Reichhaltigkeit des kulturellen Angebots (z.B.Oper, Gemäldegalerie,Arsenal) und auch von der reichhaltigsten Kneipenszene (Dublin,Praga,Kryivka(!))sehr überrascht und angetan. Nicht verpassen sollte man auch einen Aufstieg auf den Schloßberg mit einem überwältigenden Panoramablick! Das mit dem Renovierungsstand stimmt in den Seitengassen der Altstadt schon teilweise - allerdings sind die Chrustschovki in den Vorstädten wesentlich gepflegter als in Kiev!Bei den Hotels ist gegenüber dem überlaufenen George m.E. das sehr ruhig gelegene und sehr,sehr serviceorientierte "Zamok lewa" zu bevorzugen. Und ich kann jedem nur empfehlen, die Stadt jetzt zu besuchen, bevor genau wie in Riga oder Bratislava oder Prag die Touristenmassen hereinbrechen! Tendenzen in dieser Richtung gibt es leider schon, weil z.B.Wizzair von Dortmund holländische Trinkurlauber schon um 40 EUR einfliegt und auch UIA die Flüge ab Frankfurt jetzt schon ab 150 EUR anbietet! Ich würde die Stadt vom Potenzial her in einer Reihe mit Wien,Prag und Budapest einordnen und auch einen dementsprechenden Stellenwert gönnen:-)!
Viele Grüsse aus Wien,Stefan

Anonym hat gesagt…

Toller Beitrag wieder mal! Wir waren Mitte Oktober vorigen Jahres dort und wer noch ein paar mehr Bilder dieser schönen Stadt sehen will, der schaue hier:
http://good-times.webshots.com/album/567983687BjMhqQ?start=0

Anonym hat gesagt…

Leider waren einige Zeichen des Links nicht sichtbar. Hier nochmal der Versuch:
http://good-times.
webshots.
com/album/567983687
BjMhqQ?start=0

bloopearl hat gesagt…

i was in lviv in november... i love that city... greetings from poland:)

Anonym hat gesagt…

Well, we had all nice sex parties in Lviv. Thanks to all of you.

Anonym hat gesagt…

darf ich mich kurz vorstellen..
mein name ist uljana und ich bin ukrainerin.

ich lebe jetzt in deutschland nich weit von berlin
und besuche jedes jahr meine großeltern in der ukraine.
sie leben dort in einem dörfchen namens wistowa...da ist ca. ne halbe stunde autofahren von iwano-frankivsk entfernt.
also vor-karparten.

ich war schon selbst oft in lwiw.
da es nur 2 autostunden entfernt ist und das ist in der ukraine verhältnissmäßig ja sehr wenig.

was ich sagen wollte.
es ist eine wundervolle stadt..und ich finde sehr österreichisch geprägt.
bin immerwieder gern dort!

Monika hat gesagt…

Hallo,
sehr interessant!
Ich lebe seit Mai 2009 in Lviv und bin eine deutsche.
Meine seite ist:
http://ukraine-lviv.npage.eu/
würde mich freuen,wenn ich eine antwort bekomme.
viele grüsse aus lviv ukraine
von monika