Samstag, 18. August 2007

Kertsch

Von Feodossija (Феодосия) aus haben wir an einer Exkursion in die Hafenstadt Kertsch (Керч) teilgenommen. Die Stadt Kertsch befindet sich im äussersten Osten der Krim-Halbinsel und ist namensgebend für die Kertsch-Halbinsel (der Krim) und die (Wasser-) Strasse von Kertsch.


Landschaft zwischen Kertsch und Feodossija


Die Landschaft der rund 100 km langen Strecke zwischen Feodossija und Kertsch ist sehr eindrücklich und ungewohnt für einen Westeuropäer. Die Gegend kann am besten als eine Steppe bezeichnet werden - sehr flach, trockene Wiesen, keine Bäume, nur etwas Sträucher, vereinzelt kleine Seen und sehr dünn besiedelt.


Berg Mitridat, Lenin-Statue und Flaggen (Kertsch, Krim, Ukraine)


Die Stadt Kertsch liegt an einer grossen, lang gezogenen Bucht der Strasse von Kertsch. Zwei kleinere Buchten der grossen Bucht bilden die beiden natürlichen Häfen von Kertsch. Den schönsten Ausblick auf die Stadt, die Häfen, die Strasse von Kertsch und die russische Küste hat man vom 96 m hohen Berg Mitridat, der dominant über der Stadt liegt. Dieser Berg war früher die Akropolis der im 7. Jahrhundert v. Chr. gegründeten antiken griechischen Stadt Pantikapaion (Παντικάπαιον), der Hauptstadt des antiken Bosporanischen Reichs.


Blick vom Mitridat auf Hafen und Kertsch


Die Strasse von Kertsch, welche das Asowsche Meer mit dem Schwarzen Meer verbindet, und hier an ihrer schmalsten Stelle nur rund 3 km breit ist, wurde in der Antike auch als Kimmerischer Bosporus oder kleiner Bosporus bezeichnet. Daher auch der antike Name Bosporanisches Reich.


Karte der Krim und der Strasse von Kertsch

Die Strasse von Kertsch hat einen regen Schiffsverkehr, da alle Frachtschiffe mit Gütern aus dem Osten der Ukraine (Haupthafen: Mariupol) und aus Südrussland (Rostow am Don) diese Meerenge passieren müssen, wenn Sie in's Schwarze Meer wollen. Heute gibt es einen Fährbetrieb für Personen, Güterzüge und Autos zwischen Russland und der Ukraine und die Kertscher träumen bis heute noch von einem Tunnel oder einer Brücke zwischen Kertsch und Russland. Im April 1944 wurde zwar mit dem Bau einer Eisenbahnbrücke begonnen, doch da die Brücke aber über keine Eisbrecher verfügte, wurde sie im Februar 1945 bei Eisgang aus dem Asowschen Meer zu 30% zerstört und danach wieder abgebrochen.


Blick auf Strasse von Kertsch, Insel Tusla (Mitte) und russische Küste (Hintergund)


Inmitten der Strasse von Kertsch liegt die strategisch wichtige Insel Tusla (2km lang, 300m breit), welche die Kontrolle über die Meerenge erlaubt. Die Insel trennte sich erst in den 1920-er Jahre durch Erosion vom russischen Festland (Tuman-Halbinsel). Da die Insel heute ukrainisch ist, kann die Ukraine die Fahrrinne der Meerenge kontrollieren und Gebühren von russischen Schiffen verlangen und ausserdem werden unter der Strasse von Kertsch grosse Erdgasvorkommen vermutet. 2003 gab es hier einen ernsthaften Konflikt mit Schiessereien zwischen russischen und ukrainischen Truppen, als Russland begann, einen Strassendamm auf die Insel zu bauen. Die Ukraine verstärkte daraufhin ihren Grenzposten militärisch und liess mit einem Schwimmbagger die Meerenge zwischen Insel und russischem Festland vertiefen.


Antike griechische Tempel-Ruine von Pantikapaion


Ebenfalls auf dem Berg Mitridat befinden sich Überreste der antiken griechischen Hauptstadt Pantikapaion des antiken Bosporanischen Reichs. Diese Ruinen der Akropolis und des Königspalastes stammen dabei aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Die Ausgrabungen der Ruinenstätte begannen 1830. Bei den archäologischen Untersuchungen im 19. und 20. Jahrhundert entdeckte man auch die Nekropole (Totenstadt) und stiess auf zahlreiche gut erhaltene Münzen, Stelen und Vasen.


Siegessäule auf dem Berg Mitridat


Im Zweiten Weltkrieg war Kertsch hart umkämpft. Die Stadt war ein sowjetischer Brückenkopf und wurde erstmals nach hartem Widerstand im November 1941 von der Wehrmacht erobert. Am 30. Dezember wurde Kertsch von der Roten Armee durch eine Seelandung zurück erobert. Im Mai 1942 wurde Kertsch abermals von der Wehrmacht erobert, aber versprengte Truppen leisteten in den Klippen und in den Katakomben bis Oktober 1942 weiterhin Widerstand. Am 31. Oktober 1943 scheiterte eine weitere sowjetische Seelandung. Während der deutschen Besatzung wurden 15,000 Einwohner getötet und weitere 14,000 deportiert. Diese Ereignisse wurden auch als Beweise im Nürnberger Prozess verwendet. Die grösstenteils zerstörte Stadt wurde schlussendlich am 11. April 1944 befreit und wurde 1973 zur Heldenstadt erklärt und auf dem Berg Mitridat wurde eine weit herum sichtbare Siegessäule errichtet.


Monumentaler Eingang zu den Katakomben


Im Herbst 1942 verschanzten sich 20'000 bis 30'000 versprengte sowjetische Soldaten in einem alten Bergwerk (eigentlich ein Steinbruch, der heute als Katakomben bezeichnet wird), da diese Truppen sich nicht mehr über die Strasse von Kertsch absetzen konnten. Diese eingeschlossenen sowjetischen Truppen leisteten unter härtesten Bedingungen (fast keine Nahrung und Munition und auf engstem Raum) mehrere Monat erbitterten Widerstand und hofften auf eine nicht erfolgte sowjetische Befreiung. Um diesen Widerstand zu brechen, setzte die deutsche Wehrmacht Giftgas ein und vergaste alle 20'000 bis 30'000 sowjetischen Soldaten (dieses Massengrab wird deshalb als Katakomben bezeichnet). Dieses u.a. auch sowjetische Versagen wurde erst in den frühen 1970-er Jahren aufgearbeitet. Es erfolgten Ausgrabungen in diesen Katakomben und der Widerstands- und Opferwille dieser Soldaten wurde glorifiziert und ein monumentales Monument wurde über dem Eingang der Katakomben errichtet.


Plan der Katakomben von Kertsch


In der Nähe der Katakomben befindet sich auch ein Kurgan, ein Grabhügel der Skythen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Die Skythen waren die Urbevölkerung der Krim und der Südukraine, waren ein persisches Nomadenvolk und lebten in Kertsch zur gleichen Zeit wie die antiken Griechen.


Aussenansicht des Zaren-Kurgans von Kertsch


In den Kurganen, die durchaus mit ägyptischen Pyramiden verglichen werden können, hatte es eine Grabkammer mit reichen Grabbeigaben, welche heute als das "Gold der Skythen" bezeichnet wird. Ein Kurgan hat dabei einen Kern aus grossen, bearbeiteten Steinen, der aber ohne Mörtel gebaut wurde und der sehr einer ägyptischen Pyramide gleicht. Um diesen Kern herum hatte es eine Erdschicht, so dass der Kurgan von aussen wie ein normaler Hügel aussieht.


Eingang zum Zaren-Kurgan


Etwas ausserhalb von Kertsch, an der engsten Stelle der Strasse von Kertsch und unweit des Beginns des Asowschen Meeres, befindet sich die türkische Festungsanlage Jenikale aus dem 17. Jahrhundert. Diese riesige, rund einen Quadratkilometer grosse Anlage wurde von den Franzosen für die Türken gebaut, als die russische Flotte unter Zar Peter dem Grossen das Asowsche Meer in Richtung Schwarzes Meer verlassen wollte. Mit dieser Artilleriefestung und ihren Kanonen konnten die Türken den Ausgang des Asowschen Meeres kontrollieren.


Teil der Festungsanlage Jenikale


Historisch gesehen führte dies zum Entschluss Peters des Grossen, den Meeresanstoss des russischen Reichs in Richtung Norden (d.h. Ostsee) zu suchen, was bekanntermassen mit der Gründung Sankt Petersburg endete. Vielleicht wäre Sankt Petersburg hier gegründet worden, wenn die Türken nicht diese Festung gebaut hätten...


Festungsanlage, Strasse von Kertsch, Frachter und russische Küste


Trotz dieser spannenden Geschichte mit vielen Sehenswürdigkeiten gehen heute leider nur wenige Touristen nach Kertsch. Kertsch erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg auch von Josef Stalin keine Aufbauhilfen, weshalb die Kertscher mit ihren bescheidenen eigenen Mitteln die fast komplett zerstörte Stadt wieder aufbauen mussten. Die Trinkwasserversorgung von Kertsch ist bis heute problematisch ("saures" Wasser) und erst vor wenigen Jahren wurde Kertsch an die Gasversogung des Landes angeschlossen.

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