Mittwoch, 12. Juli 2006

Kann man Demokratie essen?

Im Moment lese ich viel über die politische Situation in der Ukraine in westlichen Medien. Es ist viel Schlechtes über die neue blau-rote Koalition zu lesen, im speziellen über den Chef der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch.

Es stimmt, dass der aus einfachen Verhältnissen stammende Viktor Janukowitsch in seiner Jugend (1969/1970) wegen Diebstahl und wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Interessant ist aber, dass genau diese Medien in anderen Artikeln eine zweite Chance für Kriminelle fordern - und ist dies im Falle von Viktor Janukowitsch nicht wunderbar gelungen? Es stimmt aber auch, dass er unter den Sowjets einer der ganz wenigen sowjetischen Autorennfahrer war - er startete an der Rallye Monte Carlo. Dies kann man leider nicht in diesen Medien lesen...


Viktor Janukowitsch: Ehemaliger und zukünftiger Ministerpräsident der Ukraine


Viktor Janukowitsch war unter dem vorherigen Präsidenten Leonid Kutschma Ministerpräsident - genau gleich wie der heutige Präsident, Viktor Juschtschenko. Und dass es unter Präsident Kutschma nicht sehr viel Demokratie gab, ist hinlänglich bekannt. Dies wird nun aber alleine Janukowitsch vorgehalten. Dass dies aber genau gleich unter Juschtschenko als Ministerpräsident war, wird hingegen nicht erwähnt...

Auch wird nicht erwähnt, dass während der Zeit, als Janukowitsch Ministerpräsident war, die Ukraine das grösste jemals gehabte Wirtschaftswachstum hatte. Hingegen wird der studierte Maschinenbau-Ingenieur oft in westlichen Medien als "dümmlich" dargestellt - ohne Beweise zu liefern.

Die jetztige "Konterrevolution" ist demokratisch absolut einwandfrei - die "Orangen" hatten seit den Parlamentswahlen drei Monate Zeit und haben es wegen egoistischen Interessen und einem Geschacher um Posten nicht geschafft, eine tragfähige Koalition zu bilden. Das einzige Resultat war, dass die Ukraine politisch destabilisiert wurde. Dass es nun die Gegenseite versucht, ist somit mehr als legitim.

Die Berufsrevolutionäre von Pora (=es ist Zeit) haben den Präsidenten Juschtschenko aufgefordet, zurückzutreten, weil er keines seiner Versprechen eingehalten hat. Dies stimmt zwar - aber daran sieht man auch, wie wenig diese Leute am wirtschaftlichen Wohl des Landes interessiert sind, denn bei einem Rücktritt würde das Land total im politischen Chaos versinken. Aber Pora spührt, dass zur Zeit wieder eine "revolutionäre" Stimmung in Kiew herrscht - wenn auch aus einer anderen Richtung... Pora und die Partei der "orangen" Julia Timoschenko haben zu Grossdemontartionen auf dem Maidan aufgerufen. Wie gross diese Demonstrationen waren, habe ich heute mit eigenen Augen gesehen - ein Häufchen versprengter Leute (siehe untenstehendes Foto von mir von heute). Ich bezweifle, dass die Leute noch gross Lust zum demonstrieren haben - zu sehr haben die Politker aller Farben ihre Glaubwürdigkeit in der Ukraine verloren.


Heutige Pora Demonstration auf dem Maidan


Und dass die Partei von Julia Timoschenko im Parlament nun mit Hupen und physischer Blockade die Wahl von Viktor Janukowitsch zum Ministerpräsidenten zu verhindern versucht, zeigt auch nicht gerade demokratisches Verständnis.


Zentrale von Pora am Andreas-Stieg


Die Partei der Regionen ist ausserdem die einzige Partei der Ukraine, die sich um wirtschaftliche Interessen kümmert. Und dies ist in einem "armen" Land wie der Ukraine sehr wichtig. Alle anderen Parteien wollen nur Geld verteilen, das es aber leider nicht gibt.

Die Ukraine läuft nun Gefahr, für diese "Konterrevolution" vom Westen bestraft zu werden - obwohl sie absolut demokratisch ist! Dies wäre sehr bedauerlich und der Westen sollte genau das Gegenteil tun. Und hat nicht der Westen während der "orangen" Revolution der Ukraine nur leere versprechen gegeben, ohne dass je konkrete Hilfe geleistet wurde? Und welcher namhafte Politiker des Westens hat denn die Ukraine seit der "orangen" Revolution besucht? Ich habe manchmal den Eindruck, der Westen will in der Ukraine Russland eins auswischen, ohne wirklich an der Ukraine interessiert zu sein... Das wäre sehr traurig!
  • Wikipedia über Viktor Janukowitsch: Link
  • Wikipedia über Leonid Kutschma: Link
  • Wikipedia über Viktor Juschtschenko: Link
  • Wikipedia über Julia Timoschenko: Link
  • Wikipedia über Pora!: Link

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gute Sache, Peter! Du trägst dazu bei, eine ausgewogenere Berichterstattung über das Geschehen in der Ukraine zu machen. Meistens ist es so, dass die westlichen wie auch die russischen Medien die Sachverhalte einseitig beleuchten. Und wie es mit den ukrainischen Medien steht, wissen wir: die meisten Medien sind in den Händen von Oligarchen, die in ihren Interessen fungieren. Nicht desto trotz, seit der Orangen Revolution wurden die Medien ein grosses Stück freier. Die "Temnik" - die jeweils der Lage angepasste Zensurliste unter Kutchma - wurde abgeschafft.
Vor kurzem wagte die Ringier AG den Schritt in die Ukraine und publiziert die erste richtige Boulvardzeitung (und hat noch ein paar andere Pfeiler im Köcher). Auch die führenden deutschen Verlagshäuser stricken ihre Projekte für die Ukraine. Das will was heissen! Aber man darf ebenfalls nicht übersehen, dass der Blätterwald hier schon sehr gross ist.

Zur aktuellen politischen Lage: die Orange Revolution war der Anfang eines langwierigen, schwierigen Prozesses, welcher auch Rückschläge beinhalten wird. Demokratie kann man nicht essen!

Grüsse - Andre

Anonym hat gesagt…

Ich finde interessant, was ich hier lesen konnte.
Aber kann man überhaupt westliche Maßstäbe bei der Bewertung ukrainischer politischer Vorgänge anwenden?

Podvalov hat gesagt…

Nein - eben nicht! Aber trotzdem wird es immer wieder fälschlicherweise von westlichen Medien versucht.

Es wird noch recht lange brauchen, bis es hier eine wirkliche Demokratie geben wird. Im Moment wird hier noch die Politik als Selbstbedienungsladen für Macht, Einfluss und Business aller Couleur verstanden. Traurig!

Obowohl, man darf auch nicht vergessen, dass das Land erst 15 Jahre alt ist und in dieser kurzen Zeit schon einiges erreicht wurde. Wie lange haben wir in Westeuropa gebraucht, um demokratische Verhältnisse zu erreichen?